27.10.2015

Brutzeiterfassung - Ein Blick hinter die Kulissen

Hallo zusammen!

Teichrohrsänger im Schilf
So frei wie hier lässt sich diese in der dichten Vegetation brütende Art nur selten beobachten. Meist wird der Brutbestand daher über Gesangserfassungen abgeschätzt. Wir möchten hier zum ersten Mal Einblick in eine alternative Methodik geben, die über Fang und Beringung eine Angabe des Brutbestands erlaubt, mit interessanten Ergebnissen!
Bevor demnächst der eigentliche Brutzeitbericht 2015 folgt, möchten wir vorab zum ersten Mal überhaupt auch einen Einblick in unsere Auswertearbeit gewähren. Ein großer Teil der Arbeit des Teams entfällt neben der Tätigkeit im Gelände auch auf die Eingabe, Kontrolle und vor allem Auswertung der über 10.000 Datensätze pro Jahr. Ein sehr anschauliches Beispiel der Auswertung ist die Angabe des Brutbestands im Gebiet, welcher in der konventionellen Feldornithologie oft mit vielen Abschätzungen, Hochrechnungen und Unsicherheiten verbunden ist. Die Beringung im IKEA-Biotop zeigt hier, wie sehr Schätzung und Realität voneinander abweichen können.


Geschichtliches und Motivation

Das IKEA-Biotop damals und heute
Schön zu erkennen ist der deutliche Wandel in der Vegetationsstruktur. Zwar war diese sogenannte Sukzession in den Anfangsjahren am stärksten ausgeprägt, doch sind bis heute noch Effekte spürbar, wie z.B. die andauernde Verlandung des Gebiets. Die großen Unterschiede in der Vegetationsstruktur haben einen direkten Einfluss auf den Brutbestand im Gebiet. Ein Ziel der Brutzeituntersuchung ist es auch, Qualitätsindikatoren für den Gebietszustand zu ermitteln, um Pflegemaßnahmen besser planen zu können.
Mit der Schaffung des IKEA-Biotops wurde heiß diskutiert, ob eine solch isolierte und vergleichsweise kleine Ausgleichsfläche überhaupt nennenswerten Nutzen für Brut- und Zugvögel hat. Durch Beobachtung des Gebiets wurde schnell klar, dass man diese Frage aufgrund der Zahl der auftretenden, teils seltenen Arten nur mit JA! beantworten kann. Was jedoch unklar blieb, ist das quantitative Ausmaß zu Brut- und Zugzeit, da eine verlässliche Zählung von Vögeln im dichten Schilf mit dem Fernglas alleine unmöglich ist. Aus diesem Grund wurde praktisch seit Anbeginn auch die systematische Beringung im IKEA-Biotop durchgeführt. Zunächst war die Erfassung dabei vor allem auf die Zugzeit ausgelegt; ergänzend dazu wird seit 2007 auch eine standardisierte Beringung zur Brutzeit durchgeführt.

Zu keiner anderen Jahreszeit wird der methodische Vorteil der Vogelberingung so deutlich wie zur Brutzeit: Gerade dann halten sich viele Vögel sehr lange im Gebiet auf, um ihre Nester zu bauen, zu brüten und ihre Jungen aufzuziehen. Vor allem in der Kernbrutzeit im IKEA-Biotop, zwischen Mai und Juli, gibt es eine enge räumliche Bindung der Vögel an ihren Brutplatz. Ist ein solcher Vogel erst einmal mit einem Ring markiert, lässt sich bei einem Wiederfund die Identität anhand der Ringnummer eindeutig feststellen. Dies hebt die Beringung gegenüber der reinen Beobachtung oder Gesangserfassung ab, die im Normalfall keine individuelle Erkennung zulässt.

Adulte Wasserralle, gefangen zur Brutzeit 2014.
Die Wasserralle ist zwar alljährlich Brutvogel im IKEA-Biotop,
entzieht sich aber aufgrund ihrer Lebensweise in Bodennähe
dem Fang mit Netzen. Die alternative Fangmethode mit Bodenfallen
ist stark von den Bedingungen im Gebiet abhängig (Wechselnde
Fangplätze je nach Wasserstand). Für die Wasserralle wird der
Brutbestand also auch weiterhin geschätzt werden müssen.
Trotz dieses immensen Vorteils ist natürlich auch die Beringung nicht perfekt: Einige Vogelarten lassen sich über Fang und Beringung kaum erfassen. Insbesondere Großvögel, Wasservögel und Bodenbewohner wie z.B. Wasserrallen sind über Fang und Beringung nicht oder nur unzureichend nachzuweisen. Doch auch manche Kleinvogelarten werden nicht zu 100% gefangen, so z.B. der Orpheusspötter, der eine extrem enge Bindung zum Neststandort in "seiner" Hecke hat und diese auch zum Gesang und zur Nahrungssuche nur selten verlässt. Diese Erfassungsproblematik kann nur dadurch umgangen werden, dass beide Verfahren, Revierkartierung und Beringung gleichzeitig zum Einsatz kommen.


Methodik und Datenerhebung

Im Beringungskalender beginnt die Brutzeiterfassung am 01.05. und endet am 20.07. des jeweiligen Jahres. Nahtlos voran geht eine Frühjahrszugerfassung und im Anschluss folgt die intensiv gestaltete Erfassungstätigkeit zum Herbstzug, so dass auch Daten aus den Zeiträumen vorher und nachher für die Auswertung in Betracht gezogen werden können (frühe/späte Bruten). Die konkrete Beringungsarbeit zur Brutzeit ist auf eine Beringungsaktion pro 10-Tages-Intervall festgelegt, um die Störung während dieser für die Vögel sehr anstrengenden Jahreszeit so gering wie möglich zu halten. An Fangtagen wird ab Sonnenaufgang für 6 Stunden gefangen, mit stündlichen Netzkontrollen. Die Standorte der ca. 40 Fangnetze sind dabei von Jahr zu Jahr immer gleich. Ändert sich also im Bereich der Netze die Vegetationsstruktur und damit verbunden das Artenspektrum, erwartet man entsprechende Auswirkungen in den Beringungsdaten. Speziell über mehrere Jahre können so langfristige Veränderungen im Gebiet dokumentiert werden.

(KLICK ZUM VERGRÖSSERN)
Beispiel einer Revieranalyse für ein Teichrohrsänger-Männchen (Ringnr. B2V4605), welches über 6 Jahre als Brutvogel im Gebiet nachgewiesen werden konnte und dabei 44 Kontrollfänge (!!) erbrachte. Oben eingezeichnet in rot sind die Fangstandorte, bei Mehrfachfängen entsprechend dicker gezeichnet, dazu in blau die vermuteten Reviergrenzen.

Zu den gefangenen Vögeln werden neben den Grunddaten (Fangzeitpunkt, Ort, Art, Alter, Geschlecht) auch biometrische Daten zu Flügellänge und Gewicht erfasst und vor allem auch der exakte Netzstandort des Fangs. Letzterer erlaubt bei mehrfachen Fängen auch eine Angabe zum vermuteten Revierstandort. Im Falle standorttreuer Brutvögel können über Jahre hinweg gleiche Reviere festgestellt werden.


Datenauswertung - Vom Fang zur Bestandsangabe

Nach der Feldarbeit folgt die Auswertung. Um von den reinen Fanglisten zu einer Bestandsangabe zu gelangen, haben wir uns eine eigene Methodik definiert, welche die Rahmenbedingungen der Erfassung und einige Besonderheiten berücksichtigt. Da noch eine Publikation des Verfahrens aussteht, können wir an dieser Stelle nicht ins letzte Detail gehen. Grob gesagt erfolgt eine Auswertung in 2 Schritten: Erst werden die gefangenen Vögel kategorisiert, dann werden anhand dieser Einteilung mehrere Bestandsindikatoren definiert - einer davon ist ein geschätzter Brutbestand (Anzahl Brutpaare).

Sprosser, adultes Weibchen
Zur Brutzeit können auch Vögel gefangen
werden, die im Biotop nicht brüten oder
wie in diesem Fall sogar hunderte Kilometer
vom Brutgebiet entfernt sind.
Auch ein Brutfleck ist kein sicheres Merkmal
für Brutvögel, denn auch dieser trat beim oben
gezeigten Sprosser auf.
Nicht jeder Altvogel, der im Sommer auftritt, ist automatisch Brutvogel! Der erste Schritt unserer Methodik ist die Abgrenzung der potentiellen Brutvögel von rastenden Zugvögeln oder Nichtbrütern, welche nicht selten zur gleichen Zeit auftreten können. Dies geschieht über die Anzahl und zeitliche Verteilung der Fänge eines Individuums. Ist ein Vogel als Brutvogel identifiziert, erfolgt eine genauere Kategorisierung, man unterscheidet "mögliche" (Kat. A), "wahrscheinliche" (Kat. B) und "sichere" Brutvögel (Kat. C).

Im nächsten Schritt erfolgt die Auflistung der Brutvögel nach Art und Geschlecht. In den meisten Fällen werden systematisch mehr Männchen als Weibchen gefangen; dies erklärt sich unter anderem durch Unterschiede im Verhalten: Bei vielen Arten kümmert sich das Weibchen alleine um das Bebrüten der Eier, während das Männchen das Revier abgrenzt und verteidigt. Die viel mobileren Männchen sind in dieser Zeit daher einfacher durch Fang nachzuweisen. Aus dem Katalog an Brutvögeln können dann unter Berücksichtigung dieser Eigenheit Minimalbestand (nur Kat. C), geschätzter Bestand (B+C) und Maximalbestand (A+B+C) berechnet werden. Verfolgt man diese drei Kennwerte über mehrere Jahre, so kann aus den Mittelwerten ein Brutbestand (Schätzung und Abweichung +/-)  definiert werden, siehe unten stehende Abbildung).
(KLICK ZUM VERGRÖSSERN)
Langjähriger Brutbestand einiger regelmäßiger Brutvogelarten im IKEA-Biotop
Die drei Kennwerte für Maximum, Schätzung und Minimum des Bestands ergeben sich direkt aus der Kategorisierung (A, B, C) der potentiellen Brutvögel und dem bestimmten Geschlecht.


Ergebnisse - Über unscheinbare Schilfbewohner, Schwankungen und Trends

Wie sehr konventionelle Revierkartierung und Beringung auseinander liegen können, zeigt vor allem das Beispiel des Teichrohrsängers. Der Bestand des zweifellos häufigsten Brutvogels im ca. 5 Hektar großen Gebiet ist wurde stets auf etwa 10 Brutpaare geschätzt, was ziemlich genau dem Eindruck zur Gesangsaktivität entspricht. Durch die systematische Beringung wurde offensichtlich, dass es wohl eher 20-25 Brutpaare sind. Der Grund für diese große Differenz liegt wohl in der zeitlichen Staffelung der Bruten: Sowohl Ankunftszeiten der Altvögel als auch Ausflugzeiten flügger Jungvögel erstrecken sich über mehrere Wochen. Dennoch hört man zwischen Ende April und Juli permanent nur 5-10 singende Männchen im Gebiet. Die naheliegende Erklärung: Hier handelt es sich vermutlich um unterschiedliche Sänger je nach Fortschritt der jeweiligen Brut.
(KLICK ZUM VERGRÖSSERN)
Brutbestand des Teichrohrsängers von 2007 bis 2014, ermittelt nach oben erläuterter Methodik aus Beringungsdaten.
Der langjährige Bestand wird mit ca. 22 +/- 5 Brutpaaren angegeben. Auffällig ist das "Ausnahme"-Jahr 2010, welches sich durch besonders günstige Wetter- und Vegetationsbedingungen in diesem Jahr erklären lässt.


Auffallend in der Bestandsentwicklung der Teichrohrsänger ist vor allem das Jahr 2010, welches für diese Art ein extrem starkes Brutjahr war. Der Grund dafür lag vermutlich in den extrem günstigen Bedingungen dieses Jahres: Das warme, trockene Frühjahr brachte einen frühen Aufwuchs des Schilfs mit sich. Durch hohe Niederschlagsmengen im Mai wurden zwischenzeitlich ausreichend Reserven für das weitere Wachstum getankt, die dann im weiteren Verlauf der Brutzeit in sehr warmen und sonnenreichen Phasen restlos in Biomasse umgesetzt worden. Das Resultat: Ein im Vergleich mit anderen Jahren früher aufkommender, dichterer und höherer Schilfbestand, der mehr Brutplätze und Nahrung bot als sonst und einen Bestandssprung auf ~37 Brutpaare in diesem Jahr zur Folge hatte. Gerade diese kurzzeitigen Schwankungen bei Kleinvögeln sind ohne Beringung fast nicht nachweisbar.
(KLICK ZUM VERGRÖSSERN)
Entwicklung der Brutbestandsindikatoren für die Habitattypen Feuchtvegetation und Bäume/Gebüsche (gleitende Mittelwerte). Die Indikatoren setzen sich zusammen aus der Summe der Brutbestände für verschiedene Arten.
Feuchtvegetation beinhaltet Teichrohrsänger, Sumpfrohrsänger, Rohrammer, Feldschwirl.
Bäume/Gebüsche beinhaltet Mönchs-, Klapper-, Dorn-, Gartengrasmücke, Kohl-, Blaumeise, Zilpzalp, Nachtigall, Amsel, Heckenbraunelle


Ähnlich steht es um langfristige Trends, wie z.B. dem Wandel der Vegetationsstruktur des Gebiets (Sukzession). Über die Jahre konnte man im IKEA-Biotop beobachten, dass das Gebiet durch Eintrag von Biomasse und Flugsand von nahe gelegenen Baustellen immer weiter verlandete. Umgekehrt fehlen die typischen Hochwässer im Gebiet, dank Kanalisierung und reguliertem Wasserstand der Saar. In der Summe bewirkte dies ein fortschreitendes Absinken des Wasserstands und damit verbunden eine Ausbreitung der Pflanzen, die etwas trockenere Lebensraumansprüche als Schilf, Rohrkolben und Feuchtgräser aufweisen, z.B. Weiden, Gebüsche, etc. Die Feuchtpflanzen in den entsprechenden Bereichen wurden zunehmend verdrängt. Diese schleichende Entwicklung über viele Jahre ist anhand der Artzusammensetzung im Brutbestand nachweisbar. Insbesondere typische Heckenbewohner wie z.B. Mönchs- und Klappergrasmücke verzeichneten in den letzten Jahren stetig Zugewinne, während Arten mit Bezug zu Feuchtvegetation und Schilf, wie z.B. Feldschwirl, Rohrammer und Sumpfrohrsänger kontinuierlich im Bestand abnahmen. Diese Entwicklung, die bereits seit Jahren von uns so vorhergesagt wurde, ist zutiefst Besorgnis erregend und gefährdet den Charakter des IKEA-Biotops in hohem Maße.



Fazit - Sinnvolle Methodik

  • Die Beringung ist als Methodik zur Bestandserfassung und zum kontinuierlichen Monitoring eines Brutgebiets für Singvögel sehr geeignet. In Kombination mit einer Revierkartierung wird das qualitative und quantitative Bild vervollständigt.
  • Der Zugriff auf einzelne Individuen erlaubt neben der Ermittlung individueller Revierstandorte auch eine genauere Erhebung der Zahl der anwesenden Brutvögel als durch Gesangserfassung.
  • Die Übereinstimmung der Größenordnung der Bestandszahlen über mehrere Jahre zeigt, dass unsere Arbeitsweise verlässliche Daten liefert. Die Entwicklung über mehrere Jahre kann daher als Indikator für Veränderungen im Gebiet herangezogen werden. 
  • Neben langfristigen Trends bilden die Beringungsdaten auch kurzzeitige Ereignisse ab (mehr dazu auch im kommenden "Brutzeit 2015"-Artikel!). Der direkte Nachweis dieser Eindrücke aus dem Feld in den erhobenen Daten zeugt von der Qualität der Methodik in Feld- und Auswertearbeit.


Schlusswort - Mehr Brutzeit in Kürze!

Wir hoffen, dass dieser kleine Exkurs in die wissenschaftliche Arbeit unseres Teams für Sie interessant war. Im nächsten Artikel möchten wir uns etwas konkreter mit der abgelaufenen Brutzeit beschäftigen, die einige interessante Ergebnisse geliefert hat. Währenddessen ist auch die Herbstzugebringung noch in vollem Gang, im Falle einer Seltenheit würden wir natürlich auch nochmal von uns hören lassen.

Im Namen des gesamten Teams der Beringungsstation,
Sebastian Kiepsch

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