22.02.2014

Herbstzug 2013 - die zweite Zughälfte

Hallo an alle Leser!

Raubwürger (Lanius [excubitor] homeyeri(?)) - Das Highlight 2013?
Mehr Infos siehe Text
Der Winter ist traditionell die Zeit, in der die Beringung im IKEA-Biotop zur Ruhe kommt. Die Netze sind sicher eingelagert, das Biotop ist sich selbst und den dort einkehrenden Wintergästen überlassen. In diesem Jahr will der Winter das Saarland aber (zumindest bis jetzt) eher umgehen und so lagen die Temperaturen bis auf wenige Ausnahmen eher auf herbstlichem Niveau und was eigentlich Schnee ist, das haben die meisten Saarländer sowieso schon ganz vergessen.
Für uns bedeutet diese Zeit aber auch, auf das vergangene Jahr zurückzublicken und die angesammelten Daten etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Den Anfang macht heute die (überfällige) Zusammenfassung der zweiten Herbstzughälfte.


Allgemein - Erfassung mit Unterbrechung

Basstölpel (Morus bassanus), Helgoland 2013
Das beliebteste Ziel deutscher Ornithologen!
Die zweite Zughälfte reicht von Anfang Oktober bis ca. Ende November, wobei diese Phase je nach Wetterlage mal kürzer und mal länger andauert und auch in der Intensität stark variiert. Die zweite Hälfte des Herbstzugs ist die Hälfte mit geringeren Fangzahlen, da einfach viele früh ziehende Arten schon weg sind. Außerdem war gerade Anfang Oktober 2013 die Zeit, in der unser Team geschlossen zu den Helgoländer Vogeltagen gefahren ist: Ein Erlebnis, dass man allen begeisterten Hobbyornithologen nur immer wieder empfehlen kann. Neben dem maritimen Artenspektrum treten dort im Herbst nämlich zahlreiche extrem seltene Irrgäste auf, die anderenorts in Deutschland noch nicht nachgewiesen wurden.

Für unsere Erfassung bedeutet das eine "Datenlücke" von einer Woche, in der die Beringung geruht hat. Obwohl wir so gut wie möglich versucht haben, das unbearbeitete Zeitfenster zu minimieren (am Tag vor der Abreise noch eine Aktion), gibt es natürlich dadurch statistische Auswirkungen. Eine weitere Verzerrung der Daten entsteht durch die typischen Beringungszeiten. Als ehrenamtliche Tätigkeit findet die Beringung neben unserer regulären Arbeit (vorher bzw. hinterher) statt, dadurch ist der tageszeitliche Bereich vom späten Vormittag bis zum frühen Abend unterrepräsentiert. Doch dazu später mehr.


Feldlerche (Alauda arvensis)
Seit dem Vorjahr nehmen wir ab Anfang Oktober auch an einer bundesweiten Feldlerchen-Beringung teil, bei der in der Nacht Feldlerchen mit spezieller Fangtechnik auch in eigentlich ungeeignete Biotope gelenkt werden. Auch 2013 wurden immerhin 74 Stück gefangen (davon ganze 62 in einer sehr klaren Vollmondnacht!), eine gute Bilanz (vgl. 2012: 84 Ex.).



Häufige Arten - Rohrammern seltener?

Bei den häufigen Arten gibt es hauptsächlich 2 Arten, die ihren Hauptdurchzug in der späten Zugphase haben: Rohrammern und Rotkehlchen. In den vergangenen Jahren stets zwei der vier häufigsten Arten im IKEA-Biotop. Die anderen beiden Top-4-Arten, Teichrohrsänger und Mönchsgrasmücke, lassen ihren Zug bis Ende Oktober hin ausklingen, Fänge im November sind aber nicht untypisch. Auch die sehr häufigen Zilpzalpe ziehen in der zweiten Zughälfte stark.

Was fiel 2013 auf: Nun, für die Rotkehlchen nicht viel, der Herbstbestand 2013 lag mit 674 Ex. in etwa in der Größenordnung der Vorjahre (2012: 705 Ex.).
Phänologiediagramm der Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla)
Im Vergleich dazu die Vorjahre. Man erkennt deutlich,
dass die Fangzahlen enorm nach oben abweichen, sowie eine
zeitliche Verschiebung zu späterem Zug, wie auch schon 2012
Doch für die anderen Top-4 gab es große Abweichungen: Mönchsgrasmücken und Teichrohrsänger waren viel häufiger als im Vorjahr: Für die anderen Grasmückenarten hat sich das ja bereits in der ersten Herbstzughälfte angedeutet, auch bei den Mönchen lagen die Fangzahlen mit 1075 Ex. (2012: 620 Ex.) sehr deutlich über den Ergebnissen der Vorjahre. 2013 war für die Mönchsgrasmücke das Jahr mit den meisten Fängen seit Beginn der Beringungsarbeit im IKEA-Biotop.


Der Teichrohrsänger als häufigste Art des Gebiets kann dieses Ergebnis aber locker übertreffen: Mit 2530 gefangenen Individuen 2013 (2012: 1586 Ex.) war der Herbstzug 2014 fast so stark wie die Rekordsaison 2010. Ein besonders interessanter Vertreter seiner Art ging uns noch am 26.11. ins Netz. Dies macht ihn nicht nur zum spätesten je im IKEA-Biotop nachgewiesenen Teichrohrsänger, er war auch noch mit einem holländischen Ring markiert! Es wird interessant sein zu erfahren, wann und wo er dort gefangen wurde.

Teichrohrsänger (Acrocephalus scirpaceus), beringt von Zentrale Arnhem (NED)
Gefangen am 26.11.2013 und damit der späteste je von uns nachgewiesene Teichrohrsänger

Fangzahlen der Rohrammer (Emberiza schoeniclus)
Dazu im Vergleich Zahl der Beringungstage jeweils
von 11.09. - 20.11. des Jahres (Hauptdurchzug).
Die Diskrepanzen 2012 bzw. 2013 könnten auf
Populationsrückgang oder Methodikprobleme hinweisen
Was die Rohrammern angeht, sieht die Saison 2013 weniger erfreulich aus. Zum ersten Mal seit Beginn der Beringung im IKEA-Biotop schafft es die Rohrammer nicht unter die vier Arten mit den stärksten Fangzahlen und wird von Sumpfrohrsänger und Zilpzalp auf Platz 6 verwiesen. Schon seit 2009 sieht man bei der Rohrammer einen kontinuierlichen Abwärtstrend. Doch dies sollte man noch nicht überbewerten, da die angesprochenen statistischen Verzerrungen (Datenlücke im Hauptdurchzugsfenster und um die Mittagszeit der Beringungstage) die Fangzahlen zumindest bei uns enorm verfälschen. Fakt ist, dass gerade in den letzten beiden Jahren enorme Rückgänge zu verzeichnen sind. Die interessante Frage wird sein, ob andere Beringer einen ähnlichen Trend sehen.

Rangfolge der Arten nach Zahl der Neuberingungen 2013 im Vergleich mit 2012


Mittelhäufige Arten - von ausbleibenden Invasionen

Der Spätherbst ist üblicherweise die Zeit, in der auch ungewöhnliche Zugbewegungen festgestellt werden. So war z.B. 2010 ein Jahr, in dem viele Waldvögel im Saarland in untypischen Biotopen gesichtet (und von uns auch gefangen) wurden. Das Jahr 2012 war geprägt von invasionsartigem Auftreten von Singdrosseln, Blau- und Kohlmeisen, bei denen insbesondere letztere durch ihre fremdartigen Rufe auch an vielen anderen Stellen Deutschlands auffielen (vgl. avesrares.wordpress.com - "freaky great tits"). Die vergangene Beringungssaison war dagegen was diese Arten angeht vergleichsweise ruhig, die erzielten Fangzahlen fielen zurück auf den durchschnittlichen Stand der Vorjahre.
Auch die sonst im Saartal in großer Zahl auftretenden Erlenzeisige blieben wohl aufgrund des milderen Wetters größtenteils in nördlicheren Gefilden. Gerade einmal zwei Vertreter dieser Art konnten im Herbst 2013 beringt werden (2012: 42 Ex.).

Alpen-Birkenzeisig (Carduelis [flammea] cabaret)
Eine späte kleine Invasion konnte aber bei den verwandten Birkenzeisigen (Unterart cabaret) festgestellt werden. Speziell Ende November und Anfang Dezember waren diese kleinen Finken an vielen Stellen im Saartal in teilweise recht großen Trupps auf Nahrungssuche bzw. als Durchzügler feststellbar. Auch bei der Beringung konnten immerhin 4 Individuen gefangen werden (2012: 2 Ex., darunter auch 1 Ex. der nordischen Unterart flammea), ein Trupp von ca. 20 Birkenzeisigen konnte daneben über mehrere Tage hinweg beobachtet werden.



Seltene Arten - Spätes Glück und Bestimmungsproblematik


Zwergschnepfe (Lymnocryptes minimus)
Das erste Highlights kurz vorweggenommen: Endlich konnte nach zwei erfolglosen Jahren wieder eine Zwergschnepfe gefangen werden! Zuletzt war uns diese Art 2010 in die Netze gegangen. Zwergschnepfen, die übrigens sehr nahe mit der Bekassine - dem Vogel des Jahres 2013 - verwandt sind, rasten fast alljährlich im IKEA-Biotop. Die wenigen Tiere treten aber meist dort auf, wo sie ungestört sind - also weit von den Netzen entfernt. Für unser Team war dieser Fang insofern sehr erfreulich.

Nach dem erneuten Ausbleiben der ganz großen Highlights bis Ende September haben wir schon fast die Hoffnung auf Sensationen aufgegeben, doch pünktlich zu Beginn der 2. Zughälfte wurden wir am Abend des 02.10. von einem seltenen Anblick im Netz überrascht: Der oben gezeigte Raubwürger hing inmitten des höchsten Schilfbestands des Gebiets im Netz, eigentlich ein Vegetationstyp, der so gar nicht zu dieser Art passt, die sonst in Offenlandbereichen ihre Nahrung jagt: Großinsekten, Mäuse, etc. In der Vergangenheit wurden bereits zwei Raubwürger an anderen Stellen im IKEA-Biotop gefangen, also insofern auch keine große Sache, sollte man meinen.

Raubwürger (Lanius [excubitor] homeyeri(?)) - Schwanzzeichnung
Zwei vollständig weiße äußere Schwanzfedern!
Erst bei genauerem Hinsehen fiel dann auf, dass die Merkmale dieses speziellen Raubwürgers sehr gut zur östlichen Unterart homeyeri passen, die im Bereich des Kaukasus bis Sibirien vorkommt. Die beschriebenen Merkmale dieser Unterart umfassen ein durchschnittlich helleres Erscheinungsbild mit ausgedehnten Weißzeichnungen im Flügel und vor allem im Schwanzmuster. Kann das sein? Vieles spricht dafür... doch es gibt einen Haken: Die Variation dieser Spezies. In der Fachliteratur gibt es keine Übereinstimmung über die Abgrenzung der Unterart homeyeri zu unseren heimischen excubitor-Raubwürgern und viele Feldornithologen warten derzeit auf eine Veröffentlichung zu dieser Thematik. Unser Team kam dann zu dem Schluss, die Dokumentationsaufnahmen anerkannten Experten zur Verfügung zu stellen und bis zum Urteil der Fachwelt bei der Bestimmung als homeyeri zu bleiben. Nichts desto trotz muss diese Unterart aufgrund ihrer Seltenheit in Deutschland bei der Deutschen Avifaunistischen Kommision (DAK) dokumentiert werden wird hier von angesehenen Ornithologen überprüft. Bis zur abschließenden Bewertung ist dieser Fang also noch mit einem Fragezeichen zu versehen.


Sibirischer Zilpzalp (Phylloscopus [collybita] tristis)
mit verklebtem Gefieder um den Schnabel
Ähnlich verlief es bei einem weiteren späten Fang: Ein (vermutlicher) Sibirischer Zilpzalp der Unterart tristis konnte Mitte November überraschend gefangen und beringt werden. Auch hier muss die Bewertung zwar abschließend durch die DAK erfolgen, doch aus unserer Sicht ist der Fall hier etwas klarer. Bereits 2009 wurde ein mittlerweile bestätigter tristis-Zilpzalp im IKEA-Biotop gefangen, mit sehr ähnlichen Merkmalen. Im Vergleich mit den bei uns brütenden collybita wirkt der tristis-Zilpzalp wesentlich heller und zeigt kaum Gelbtöne in der Gefiederfärbung. Seine Beine sind sehr dunkel und vor allem - was wir zum Glück nach meheren Minuten Wartezeit auch feststellen konnten - hat er einen speziellen Ruf. Auch die Bilder sprechen aus unserer Sicht Bände.

Der direkte Vergleich - Sibirischer Zilpzalp (Phylloscopus [collybita] tristis) (l.)
und sein mitteleuropäischer Verwandter, Zilpzalp (Phylloscopus [collybita] collybita) (r.)


Schlusswort: 2014 steht bevor

Das alte Beringungsjahr ist Geschichte, ein neues bricht an. Auch 2014 werden wir wieder so gut es geht versuchen, Beringungsaktionen durchzuführen, beginnend mit der Erfassung des Frühjahrszugs.

Doch zunächst werden wir noch in anderer Mission aktiv: Im IKEA-Biotop wurde eine kleine aber feine Umgestaltungsmaßnahme bewilligt, die durch großzügige und tatkräftige Unterstützung des Tiefbauamts der Stadt Saarlouis in den nächsten Tagen durchgeführt wird. Es soll eine neue Flachwasserzone und ein abgetrenntes Tiefgewässer entstehen, welche das Angebot an Nahrung und Rastplätzen für Brut- und Zugvögel erweitern. Daneben soll ein Graben an der Grenze des Biotops gezogen werden, der Störungen z.B. durch unbefugtes Betreten verhindern soll. Wir sind gespannt, welche Auswirkungen diese Maßnahme auf das Artenspektrum und den Bestand haben wird.

Wir freuen uns schon auf neue spannende Fänge und Geschichten!

Im Namen der Beringungs-AG,
Sebastian Kiepsch